Wir beraten daher Unternehmen dahingehend, zu schauen, was sie schon haben, was allenfalls noch fehlt und vor allem was zu ihrer Unternehmensstrategie und ihren Mitarbeitenden passt. Und dann entwickeln wir mit ihnen einen strategischen Ansatz, wie sie für Eltern zu einem attraktiven Arbeitgeber werden können. Dies gilt nicht nur in Bezug auf die Eltern, die bereits bei ihnen angestellt sind oder diejenigen bestehenden Mitarbeitenden, die einmal Eltern werden (Retention und Engagement), sondern auch diejenigen, die sie als zukünftige Fachkräfte an sich binden möchten (Recruitment).
Zum Beispiel haben wir eine flexible in-house Kinderbetreuung für unseren Kunden Swiss Re konzipiert und umgesetzt. Neben solchen «grossen» Massnahmen gibt es natürlich auch kleinere, die weniger kostenintensiv sind.
atedo: Okay, und funktionieren solche Massnahmen auch für KMU?
Julia: KMU haben natürlich nicht das Budget eines Riesenkonzerns. Aber auch mit einem kleinen Budget kann man schon viel erreichen. Nehmen wir das Beispiel einer familienfreundlichen Meetingkultur – also, dass Meetings nicht zu den Bring- und Abholzeiten von Kindern angesetzt werden. Oder dass Eltern von überall und auch zeitlich flexibel arbeiten können. Es geht aber auch um Wertschätzung und Vertrauen. Und zu guter Letzt um Kultur. Unternehmen müssen aufhören, Vorurteile gegenüber Eltern zu haben. Stattdessen sollten sie anfangen, die Fähigkeiten zu nutzen, die Mütter und Väter haben, seit sie Eltern sind. Diesen Mindset kann auch ein KMU anbieten.
atedo: Welche Fähigkeiten haben Eltern denn im Vergleich zu anderen Mitarbeitenden oder anders gefragt: wo liegen ihre Stärken?
Julia: Eltern verfügen über eine Vielzahl von Soft Skills. Aufgrund ihrer Erfahrung sind sie beispielsweise sehr gut darin, Konflikte zu lösen, Aufgaben zu delegieren und Prioritäten zu setzen. Natürlich beherrschen sie auch das Krisenmanagement (schmunzelt) und nicht zuletzt sind sie MeisterInnen der Kommunikation – schliesslich müssen sie ihren Kindern Dinge klar und verständlich erklären können.
atedo: Jetzt haben wir viel über ArbeitnehmerInnen und ArbeitgeberInnen gesprochen. Was kann denn die Politik tun, damit Vereinbarkeit besser lebbar/machbar wird?
Julia: Wir wissen, dass es ein langer Weg ist, in der Politik etwas zu erreichen. Deshalb haben wir uns mit dem Magazin und dem Coworking Space erst der Zielgruppe der Eltern gewidmet. Nun gelangen wir mit unserem Beratungsangebot an die Unternehmen. Damit wollen wir das Thema Vereinbarkeit auch in der Wirtschaft vorantreiben. Da sehen wir einen grossen Hebel, einfach auch weil Unternehmen agil sind und entsprechend schneller Veränderung herbeiführen können. Es geht ja letztlich auch nicht nur um diejenigen, die jetzt Eltern sind, sondern auch um die zukünftigen Eltern. Ich meine hier die Gen Z – sie will viel mehr Vereinbarkeit, viel mehr Flexibilität und auch viel mehr Teilzeit. Unternehmen müssen also umdenken, um gute Arbeitskräfte anzuziehen. Die Baby Boomer sind zwar jetzt noch im Management, aber sie gehen bald in Pension.
atedo: Jetzt sind wir ein bisschen abgeschweift. Kommen wir nochmal kurz zur Politik zurück – gibt es konkrete Hebel, die ihr euch wünscht oder die ihr in euren Gespräch rausgehört habt, an denen die Politik ansetzen könnte, um das Thema Vereinbarkeit zu fördern?
Julia: Laut einer Unicef-Studie aus dem Jahr 2019 liegt die Schweiz bezüglich Familienfreundlichkeit im europäischen Vergleich auf dem letzten Platz. Das ist bedingt durch den kurzen Mutterschaftsurlaub, die damals noch fehlende Verankerung des Vaterschaftsurlaubs, aber auch durch das Betreuungssystem, das nicht nur teuer, sondern auch nicht flexibel ist. Viele können sich beispielsweise gar nicht leisten, mehrere Kinder zu haben. Oder aber auch wieder einer Arbeit nachzugehen, weil sie es sich nicht leisten können, das Kind fremdbetreuen zu lassen. Ein Teufelskreis, denn dann entsteht nicht nur eine Lücke in der Karriere, sondern vor allem eine in der Altersvorsorge. Es gibt also ganz viele Ansätze, was zu verändern. Einer der grössten Hebel ist derjenige, die Kinderbetreuungskosten zu reduzieren.